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Inszenierung

Distanz

Das Festivalprojekt 2022

Es spielen: Kevin Cabral- Rocha, Loura Harre, Peter Laukart, Kira Schmudlach

Regie: Grete Linz/ Musik: Artur Grenz

Fotos: Kim Runa Linz

PRESSESTIMMEN:

Von Gewalt und Gleichgültigkeit

Kaputte Beziehungen: Grete Linz inszeniert Lars Noréns Einakter DISTANZ mit Schauspielschülern auf der Experimentalbühne im Freiburger E-Werk.

Zwei frustrierte Paare beim gemeinsamen Urlaub in der Sommerfrische: Gemein- und Genervtheiten zischen zielsicher hin und her, es wird getrunken, lamentiert und sich gelangweilt. Mehr passiert nicht in der knapp 80-minütigen Inszenierung von Grete Linz auf der mit Schaukel und Klappstühlen nur minimalistisch skizzierten Freiburger Experimentalbühne: Kein Drama, kein Gemetzel, obwohl die beiden Männer ihre Dienstwaffen dabei haben: Schließlich weiß man ja nie…

DISTANZ, lautet der Titel des 2005 uraufgeführten Einakters des 1944 in Stockholm geborenen und 2021 an Covid 19 gestorbenen Dramatikers Lars Norén, der vor allem in den achtziger und neunziger Jahren riesigen Erfolg hatte: Als vielfach ausgezeichneter Chronist der Gegenwart, rabiater Seelen-Sezierer, unangepasster Forscher an der Rändern der Gesellschaft – so feierte ihn der Kulturbetrieb, mit dem er selbst nichts zu tun haben wollte.

Unbedingt spannend also, jetzt ein Stück des Vielschreibers Norén in Freiburg zu erleben, wenn auch DISTANZ nicht zu seinen stärksten zählen dürfte: Nennenswerte Brüche, Untertöne oder gar eine Analyse gibt es hier nicht, vielmehr bekommt das Publikum eine Lektion über kaputte Beziehungen und die Folgen von alltäglicher Gewalt und Gleichgültigkeit.

Der Aggressor ist schnell ausgemacht: Kristoffer (grandioses Ekelpaket: Peter Laukart) steht von Anfang an unter Strom, brüllt bei jeder Nichtigkeit los, putzt ständig seine Frau Hanna (dickfelliges Hascherl: Kira Schmudlach) herunter und baggert die Frau seines Kollegen Tomas (windschlüpfiger Ja-Sager: Kevin Cabral Rocha) an. Ein Brutalinski und Kotzbrocken! Wen wundert’s, dass er als Soldat im Bosnienkrieg war – was das für seinen aktuellen Job als Polizist in einem Asylbewerberheim bedeutet, mag man sich gar nicht ausmalen… Und die drei anderen? Machen mit, finden ihn cool, diesen echten Kerl. Kaum zu ertragen…

Zumal Norén ganz linear seine Erzählkamera draufhält, ohne Zoom und Spannungsbogen, dafür oft redundant und mit nur winzigen Drehungen an der Aggressionsschraube. So plätschert diese Studie der zwischenmenschlichen Deformationen in erschreckender Banalität dahin, vergiftet sind dabei meist nicht die Worte selbst, sondern deren Betonung und Subtext.

Das bringen die zwei Schauspielschülerinnen und zwei Schauspielschüler mit hoher Konzentration und kraftvoller Präsenz auf die Bühne, neben Peter Laukart brilliert da vor allem Laura Harre als freudloser, skrupelloser Vamp Eva Lena.

Dreimal im Laufe des Abends wird die Szenerie in rotes Licht getaucht und mit schnell geschnittenen Posen die Handlung vorgespult. Am Verlauf ändert das nichts. Am Ende von DISTANZ zeigt die Leinwand zerbombte Gebäude in Schwarz Weiß – Kriegsbilder, wie man sie gerade jeden Tag mit schockierter Hilflosigkeit sieht. Ein krasses Stück.

Badische Zeitung (Marion Klötzer), 12. Mai 2022