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Inszenierung

Hexenjagd

Aktueller denn je: Studierende bringen Millers „Hexenjagd“ auf die Bühne

Arthur Miller brachte „Hexenjagd“ 1953 zu Papier und die Studierenden der Freiburger Schauspielschule bringen es 2020 auf die Experimentalbühne im E-Werk. Und eines wird dabei klar: Das Stück hat keineswegs an Aktualität verloren!

Das Theaterstück „Hexenjagd“ basiert in seiner Grundidee auf der Verfolgung der Kommunisten im Rahmen der McCarthy-Ära (1947 bis etwa 1956). Miller verknüpfte seine Beobachtungen aus dieser Zeit mit einem bereits einige Jahrhunderte zurückliegenden Verbrechen: den Hexenprozessen in Salem, einer Gemeinde im heutigen US-Bundesstaat Massachusetts.

Millers Stück spielt im Jahr 1692 und dreht sich rund um das Thema Ängste und Lügen. Wie kann es geschehen, dass ein scheinbar harmloses Ereignis eine Massenhysterie verursacht, die zu Fanatismus und der Verbreitung diffuser Ängste führt? Welche Rolle spielen Lügen und alternative Fakten für das Wachstum eines Nährbodens für Hass? Und welche Folgen hat es, ist solch ein Nährboden erst einmal geschaffen?

Unter der Regie von Markus Schlüter und musikalisch begleitet von Hannah Schwegler bringt das 15-köpfige Ensemble von Studierenden der Freiburger Schauspielschule „Hexenjagd“ auf die Experimentalbühne und erinnert uns damit wieder einmal mehr daran, dass diese Fragen zeitlos wie eh und je sind und dass gewisse Strukturen von Massenhysterie und Fanatismus auch heute noch genauso zu funktionieren scheinen wie vor 300 Jahren.

fudder.de (Maya-Katharina Schulz), 27. Januar 2020

 

Arthur Millers Stück „Hexenjagd“ auf der Experimentalbühne in Freiburg

Ängste schüren ein Klima, in dem Lügen sich ungehindert ausbreiten – das ist ein zeitloses Phänomen. Markus Schlüter inszeniert jetzt „Hexenjagd“ mit Studierenden der Freiburger Schauspielschule.

Der US-amerikanische Schriftsteller, Dramatiker und Journalist Arthur Miller (1915–2005) war ein genauer und kritischer Beobachter der Gesellschaft, in der er lebte. Zu Beginn des Kalten Krieges und der vom republikanischen Senator Joseph McCarthy mitinitiierten Hetze gegen Kommunisten erlebte Miller ein Klima von Angst und Verschwörung, das Bespitzelung, Machtmissbrauch, Verleumdung und Denunziation zeitigte.

Die Verfolgung von – mutmaßlichen – Kommunisten erinnerte Miller an ein historisches Verbrechen, das 300 Jahre zuvor in Salem, einem von englischen Puritanern gegründeten Ostküstenort, geschehen war: Hexenprozesse. Mehr als 100 Menschen waren 1692 nach einer Massenhysterie angeklagt, viele von ihnen gefoltert, 19 hingerichtet worden. Miller recherchierte in Salem und schrieb das Theaterstück „Hexenjagd“, das 1953 uraufgeführt wurde.

In seiner Aussage glasklar und zeitlos

Mit einem 15-köpfigen Ensemble von Studierenden der Schauspielschule im Freiburger E-Werk haben Markus Schlüter (Regie) und Hannah Schwegler (Musik) „Hexenjagd“ nun auf die Experimentalbühne gebracht – man darf davon ausgehen, dass das Team erkannt hat, dass das Stück eine geradezu beängstigende Aktualität besitzt.

Dennoch verzichtet Schlüter dankenswerterweise darauf, „Hexenjagd“ verbal oder visuell deutlich in unsere Zeit zu übertragen. Der Regisseur, Schauspieler und Dozent für Körper-Stimmtraining und Improvisation muss nicht auf aktuelle Fälle von Hysterie verweisen, denn in seiner Aussage ist Arthur Millers Stück glasklar – und zeitlos, weil weder Machtstrukturen noch Ängste sich verändert haben. Dennoch ist es natürlich ein witziges Detail, wenn Lion Koch in seiner Rolle als die Szenerie beobachtender und erklärender supercooler Luzifer sich noch einmal vergewissert, wann das Stück spielt: Ach ja, 1692…

Schwarz oder weiß – Hölle oder Himmel

Schon in der Wahl der Kostümfarben ist zu erkennen, wie die angeblich so christliche Gemeinschaft in Salem das Leben sieht: entweder schwarz oder weiß. Die jungen Mädchen, aus denen, so wird es der Richter später sagen, „die Stimme des Himmels“ spricht, sind in weiße Hemdchen gekleidet – und doch geht das Unheil vor allem von ihnen aus. Pastor Parris hat sie im Wald erwischt, wo sie verbotenermaßen wild getanzt haben. Was der Pastor selber dort getrieben hat, wird in einer mit Hannah Schweglers elektronisch-düsteren Musik unterlegten choreografierten Szene deutlich – er hat sich am Anblick der nackten Teenager aufgegeilt.

Aus Furcht, für ihr verbotenes Tun im Wald bestraft zu werden, verfallen einige Mädchen in eine Art Hysterie – krank sind sie nicht, also wird schnell vermutet, sie hätten mit Geistern und dem Teufel „verkehrt“. Es ist beklemmend souverän herausgearbeitet und beeindruckend von den jungen Darstellerinnen und Darstellern umgesetzt, wie schnell und wie unspektakulär aus der eigenen Angst, aus Rachsucht, Gier oder Charakterschwäche ein Individuen wie die Gemeinschaft zerstörender Fanatismus wird.

Das Ensemble füllt die Rollen aus

Es macht Freude, dem Ensemble zuzusehen, wie es die Rollen ausfüllt: sowohl mit körperbetontem, dynamischem, choreografiertem Spiel als auch bei Dialogszenen. Und es fällt auf, wie passend besetzt wurde: Jakob Stöckeler als kräftiger Bauer John Proctor, der für seinen Ehebruch, den er bitter bereut, teuer bezahlen muss; Sebastian Götz, dessen Figur Pastor Hale zwar eine Entwicklung zum besseren hin machen darf, der den Opfern jedoch nicht mehr helfen kann. Überzeugend agieren auch Anna Jacquerioz (Abigail), Zoe Knapp (Mary) und Julia-Sofia Schulze (Mercy), ebenso Veronika Wider als Elizabeth Proctor, Lena Boiral Lieuthier und Nicolai Katalenic als Eheleute Putnam, Arthur Grenz als Pastor Parris, Melchior Meyer und Stefan Richter als Richter, Sujit Kuruvilla als Giles, Malena Mauch als Rebecca und Tobias Kahl als buckliger Handlanger Ezekiel. Begeisterter Premierenapplaus.

Badische Zeitung (Heidi Ossenberg), 10. Januar 2020