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Inszenierung

#nofilter

Selbstbefragung

Schon vor der Freiburger Premiere konnte das Stück als Erfolg gelten: Grete Linz, Regisseurin von ‚#nofilter‘, und ihr junges Team haben diese Versuchsanordnung aus einem Schauspiellabor bereits auf einem internationalen Festival in Rumänien gezeigt. Nach der Premiere auf der Experimentalbühne im E-Werk ging es für die Freiburger Schauspielschule gleich weiter zum Young Theatre Festival in Kroatien. Jedes Mal spielen die vier Darstellenden unter anderen Bedingungen – diese äußeren Gegebenheiten passen perfekt zum Inhalt von ‚#nofilter‘.

Auf den wir jetzt auch zu sprechen kommen: ‚#nofilter‘ ist kein Stück im herkömmlichen Sinn. Es hat keinen roten Faden, keine zusammenhängende Geschichte. Es geht vielmehr um die Selbstreflexion der Schauspielschülerinnen Alexandra Nesici und Maya Kenda und der Schauspielschüler Sujit Kuruvilla und Jan Frederik Saure. Der fünfte im Team ist Artur Grenz, der für die sehr energetische elektrische Musik verantwortlich zeigt. Die Fragen, die sie sich stellen, stellt sich wohl jede und jeder in diesem Beruf: Wie echt darf Schauspiel sein? Wie viel Anteil des eigenen Ichs darf ich einsetzen? Wie viel gebe ich von den eigenen Emotionen preis? Was darf das Identifizieren mit der Figur kosten? Wie akribisch, wie konzentriert und trotzdem frei findet der immer wiederkehrende Aufbau eines Zustands statt?

Das sind keine Fragen, die in den für die Theater in der überaus schwierigen Phase der Pandemie in den vergangenen 18 Monaten plötzlich aufgetaucht wären. Das sind Fragen, die schon der einflussreiche US-amerikanische Schauspiellehrer und Erfinder der Method Acting-Methode Lee Straßberg seinen Schauspielern stellte. Aber, das haben Grete Linz und Markus Schlüter, der neue Leiter der Schauspielschule, in den letzten Monaten erlebt: Diese Fragen haben mit der Pandemie eine neue Relevanz erhalten. Die jungen Menschen, glauben die Lehrer, entscheiden sich heute bewusster für eine (unsichere) Bühnenkarriere. Weil sie etwas machen wollen, das ihnen wirklich entspricht und am Herzen liegt.

In jedem Fall ist das eine gute Voraussetzung, um ein Publikum zu gewinnen. Mit Dynamik, Engagement und Spielfreude. Das haben alle gezeigt – in den zehn Szenen, die Nesici, Kenda, Kuruvilla und Saure in wechselnden Konstellationen auf der von Schwarzlicht wie ein Labor ausgeleuchteten Bühne (Licht: Lian Koch) improvisieren. Dabei geht es immer wieder darum, Emotionen zu entwickeln – aus einer Situation, aus sich selber und im Kontakt mit einem Gegenüber heraus: natürlich, intensiv, glaubhaft. Muss man ausrasten, weil der Bus einem gerade vor der Nase weggefahren ist, obwohl der nächste in drei Minuten kommt? Wie nähert sich ein Liebespaar an – und gibt es da einen Unterschied, ob es zwei Männer oder ein Mann und eine Frau sind? Ist Trauer etwas, das ich immer allein empfinde? Sind die nonverbalen Ausdrucksmöglichkeiten der Darstellenden an diesem Abend bereits überwiegend überzeugend, sollten sie daran noch arbeiten, langsamer und deutlicher zu sprechen. Ein insgesamt spannender Einblick in die Herzen junger Schauspielerinnen und Schauspieler. Viel Applaus – auch für diesen Mut.

Badische Zeitung (Heidi Ossenberg), 22. September 2021